11.07.1864 - Washington in Gefahr!
Am 11. Juli 1864 richteten konföderierte Soldaten ihre Kanonen direkt auf Washington und auf Präsident Lincoln !!
Und das kam so:
Noch bevor Lee's Armee um Petersburg und Richmond herum von Grant's Linien belagert wurde, versuchte Lee wieder seine alte List, mit der er schon so oft überraschenden Erfolg hatte: obwohl der Feind bedrohlich nah war, teilte er seine Armee auf. LtGen Richard Ewell, Kommandeur des 2. Corps, war in letzter Zeit immer häufiger krank und konnte seine Aufgaben nicht mehr erfüllen. Lee entband ihn deshalb vom Corps-Kommando und schickte ihn nach Richmond, um das Kommando über die eigenen Verteidigungs-Einheiten der Stadt zu übernehmen. Das 2. Corps ging dann an MajGen Jubal Early, der Ewell schon so oft im Kommando vertreten hatte. Early war ein alter Haudegen, mutig, nicht dumm, zu entschlossenem Handeln fähig, aber nicht überzogen ehrgeizig. Und als Virginier kannte er die Gegend gut.
Lee trennte nun das gesamte 2. Corps von seiner Haupt-Armee ab und schickte es unter Early auf einen Ablenkungsfeldzug aus. Early sollte weiter im Nordosten von Virginia für Aufsehen sorgen und dadurch Grant zwingen, ebenfalls Teile seiner Armee auszuschicken, um Early zu verfolgen. Somit sollte Druck von Lee und von Richmond genommen werden.
MajGen Jubal A. Early, CSA, temporär als LtGen, 2. Corps
Der "Fuchs" Early schaffte es, mit seinen rund 12.000 Mann in nur wenigen Tagen mit der Eisenbahn an das südliche Ende des Shenandoah-Tales zu gelangen, ohne dass Grant davon erfuhr. Dann marschierte Early zügig durch das Tal nach Norden. Dort gab es nur wenig Widerstand. Zwar hatte Grant in seinem Generalplan MajGen Franz Sigel mit der Besetzung des Tales beauftragt, aber dieser war von kleineren konflderierten Einheiten verscheucht worden - darunter ein gewisser Col John Mosby, der mit seiner Einheit einen relativ unabhängigen Partisanenkrieg führte. Die Konföderierten schlossen sich Early an, dessen Truppe damit auf 15.000 Mann anwuchs.
Das schützende Shenandoah-Tal wird am nördlichen Ende vom Potomac-Fluss begrenzt. Early überschritt den Fluss und befand sich damit in Maryland, also auf Gebiet der Nordstaaten. Erst jetzt schrillten in Washington die Alarmglocken. Denn plötzlich war für Early der direkte Weg frei, um die Unions-Hauptstadt anzugreifen, und zwar von Nordosten. Und genau das hatte Early auch vor. Er rechnete sich nicht unbedingt aus, Washington gleich komplett zu erobern und vielleicht die US-Regierung gefangen zu nehmen. Sondern er wusste, dass es keine bessere Ablenkung für Lee gab, als wenn der US-Präsident persönlich um seine Sicherheit fürchten und folglich Truppen von Grant abziehen würde.
In und um Washington lagen zahlreiche Truppen, die sich völlig von denen der Armeen im Felde unterschieden. In der Zeltlagern gab es zahlreiche frische Soldaten, ganz neu gemustert, die gerade erst ausgebildet wurden. In der Krankenhäusern der Stadt befanden sich tausende verwundete oder kranke Soldaten zur Behandlung und Genesung. Und um die Stadt herum waren im Laufe der Jahre zahlreiche Befestigungen erstellt worden, die ähnlich mittelalterlicher Burgen mit schweren Kanonen bestückt waren. Die Besatzungen dieser Kanonen, Soldaten der sogenannten Schwer-Artillerie, hatten keine Kampferfahrung. Sie saßen seit Kriegsbeginn mehr oder weniger arbeitslos dort herum, da Washington bislang nie direkt in Gefahr war.
Offiziere und Soldaten des 3. Massachusetts Schwerartillerie-Battalions vor Washington
Jetzt aber war das ganz plötzlich anders.
Wie Early vorhergesehen hatte, schickte Lincoln Nachricht an Grant, dass die Hauptstadt in Gefahr sei. Grant setzte sofort sein VI. und Teile des XIX. Corps in Marsch nach Washington. Da die direkten Bahnlinien alle zerstört waren, dauerte der Fußmarsch aber rund eine Woche - zu lange, denn Early konnte es in 5 Tagen schaffen. Also was tun? Man musste versuchen, Early zu bremsen, bis Grant's kampferproble Einheiten angekommen waren.
Der ranghöchste General in Washington, MajGen Lew Wallace, sammelte alle Soldaten zusammen, die nicht zu krank, zu alt oder zu unerfahren waren, ein Gewehr zu halten, und kam so auf immerhin 5.800 Mann. Damit marschierte er Early entgegen. Zwei Tagesmärsche vor Washington stießen sie aufeinander und es kam an dem kleinen Flüsschen Monocacy in Maryland zum Gefecht. Wallace wusste, dass er Early mit seiner bunten und zu kleinen Truppe kaum besiegen konnte. Aber er hielt Early's Vormarsch auf Washington immerhin etwas auf. Gerade so lange wie nötig,
MajGen Lew Wallace, USA, Verteidigung von Washington, D.C.
Die Schlacht von Monocacy ging für die Union verloren, aber hätte Wallace nicht diesen Mut aufgebracht, sich dem übermächtigen Gegner zu stellen, wer weiß was dann noch passiert wäre.
Early hatte durch das Gefecht zwei wertvolle Tage verloren, setzte seinen Marsch danach aber fort. Am 11. Juli erschien er mit 10.000 Mann vor den Befestigungen von Washington. In den Verteidigungsgräben lagen aber nicht mehr unerfahrene Kanoniere, sondern die soeben angekommenen, durchtrainierten Männer aus dem VI. und dem XIX. Corps. Beide Seiten griffen gleichzeitig an. Early wollte den Beschuss auf Washington eröffnen, und die US-Einheiten wollten die Konföderierten von der Stadt vertreiben.
Viele Stadtbewohner fuhren mit ihren Kutschen und Wagen aus der Stadt heraus bis nahe hinter die Befestigungsanlagen, um das "Spektakel" anzusehen. Man könnte meinen, sie haben Manassas vor genau drei Jahren bereits vergessen. Aber aus purer Neugierde machen Menschen die unmöglichsten Dinge.
Mittags erschien dann noch ein ganz besonderer Zuschauer: Abraham Lincoln. Dieser brachte seine Leibwächter und Berater ganz gerne mit solchen Aktionen zur Raserei. Hier bestieg eine der Geschützstellungen und ließ sich von Offizieren die Aufstellung und Taktik erklären. Erst später gab er zu, mit seinem auffällig hohen Zylinderhut eine gute Zielscheibe abgegeben zu haben.
Bis 16 Uhr nachmittags ging es hin und her, und schließlich zog Early seine Einheiten zurück. Die Gefahr für die Hauptstadt war gebannt.
In den nächsten Tagen machte sich Early auf den Rückweg in das Shenandoah-Tal und schaffte es, trotz Verfolgung seine gesamte Mannschaft und alle Versorgungswagen über den Potomac zurück nach Süden zu bringen. Die Schlacht von Fort Stevens (benannt nach der Geschützstellung, auf der sich Lincoln aufgehalten hatte) ging für ihn zwar verloren, aber seinen Zweck hatte sie dennoch erfüllt: Grant hatte zeitweilig Kräfte wegschicken müssen und verschaffte Lee damit eine Atempause. Zu einem seiner Offiziere sagte Early:
Major, wir haben Washington zwar nicht eingenommen, aber wir haben Abe Lincoln höllische Angst gemacht.
Die Schlacht von Fort Stevens war das einzige Gefecht, dass auf dem Gebiet "District of Columbia" stattfand, also dem zu keinem der Bundesstaaten gehörenden Areal der Stadt Washington. Das Schlachtfeld ist heute größtenteils durch Wohnbebauung nicht mehr zu erkennen. Nur ein paar Überreste von Fort Stevens selbst sind erhalten. Sie liegen an der 13. Straße Nordwest im nördlichen Stadtteil Brightwood Park (Google-Luftbild):
Wenn man die Stelle über Google Maps sucht und dort ein wenig nach rechts oder links wandert, findet man weitere Hinweise auf Stadtbefestigungen von damals: Fort Slocum, Fort Totten, Fort Reno usw. Diese Geschützstellungen wurden "Fort" genannt und nach einer bedeutenden Person benannt. Meist ist davon heute nichts mehr übrig als eine kleine Grünanlage, die diesen Namen trägt.