12.05.1864 - Yellow Tavern - Tod eines Volkshelden

 

General Grant hatte einen klein gewachsenen, aber vor Energie strotzenden jungen Offizier Philip Sheridan aus Tennessee mitgebracht und ihm im Rang des Major General das Kommando über die gesamte Kavallerie der Potomac-Armee übergeben. Jener Sheridan hatte in der unübersichtlichen Schlacht in der Wilderness Anfang Mai garkeine gute Figur gemacht. Das Dickicht ließ die Vorteile der Kavallerie nicht zum Zuge kommen.

Sheridan wollte zudem, dass seiner Kavallerie mehr Aufgaben zugetragen wurden als bisher bei der Union üblich. Er wollte nicht nur Stellungen des Gegners aufklären, Bewegungen der Infanterie verschleiern, und Meldungen transportieren. Er wollte selbst aktiv angreifen und handeln. Insbesondere wollte er seinen großen konföderierten Widersacher Stuart unschädlich machen, dessen Reiter seit Beginn des Krieges die Oberhand hatten. Der kommandierende Armeegeneral Meade zögerte, aber Grant wies ihn an:

Er weiß im Allgemeinen was er sagt. Lass ihn gleich losreiten und das erledigen.

 

MajGen Philip Sheridan, USA, Kavallerie der Army of the Potomac / MajGen James E. B. "JEB" Stuart, CSA, Kavallerie der Army of Northern Virginia

 

Der große Widersacher...

Das war MajGen James Ewell Brown Stuart, von allen nur durch Abkürzung der Vornamen "JEB" gerufen. Dieser Mann war "eine Marke für sich", so jemanden gab es damals kein zweites Mal.

JEB Stuart stammte aus Virginia nahe der Grenze zu North Carolina, hatte West Point absolviert, in Texas gegen Indianer gekämpft, und war zu Beginn des Bürgerkrieges mit 28 Jahren im besten Alter. Er war ein begnadeter Reiter, von unglaublichem Mut, und hatte die Gabe, Zusammenhänge zu erkennen und zu kombinieren. Dies machte ihn und seine Kavallerie zur gefürchteten Gefahr aller Gegner, weil er es immer wieder schaffte, ihre derzeitigen Positionen auszukundschaften und anhand des Geländes vorauszusehen, was der Gegner als Nächstes tun würde. Diese Informationen gaben General Lee immer wieder den entscheidenden Vorsprung.

Stuart trat zu Kriegsbeginn in die konföderierte Armee ein und wurde der Brigade von Colonel Thomas J. Jackson zugeteilt. Jackson kannte ihn zwar nicht persönlich, wusste aber von dessen Erfahrungen als Reitersoldat. Er gab Stuart das erste Kommando als Kavallerie-Führer, und dabei sollte es bis zuletzt bleiben. Auch war es Jackson, der Stuart anwies, neben Aufgaben als Pfadfinder und Begleiter von Wagenzügen auch aktive Feindesaufklärung zu leisten. Hierin wurde Stuart zum wahren Meister.

Stuart war sehr wagemutig. Er ignorierte die Gefahr nie, in die er sich begab, aber er schaffte Dinge, die keiner - weder die eigene noch die gegnerische Armeeführung - für möglich gehalten hätten. Auf dem Halbinsel-Feldzug von McClellan 1862 ritt er mit seiner Reitertruppe in fünf Tagen einmal um die komplette Unionsarmee herum, erbeutete jede Menge Wagen und Pferde aus dem Hinterland, und lieferte Lee eine genaue Stärke- und Lagemeldung des Gegners. Dieses Kunststück wiederholte er im Herbst 1862 in Nord-Virginia. Kurz davor war er völlig kaltschnäuzig mitten in das Hauptquartier von US-General John Pope geritten und hatte wichtige schriftliche Unterlagen sowie den Uniformrock des Generals aus dessen Zelt stibitzt. Sein Ruf als permanente Gefahr war damals bei der Union fest untermauert. Im Süden hatte er dadurch längst einen Heldenstatus erlangt.

Der Erfolg gefiel Stuart. Menschlich gesehen war er recht eitel, sonnte sich in seinem Ruhm, was ihn aber immer weiter anspornte. Er achtete besonders auf sein äußeres Erscheinungsbild. Der dichte, struppige Bart war teils dem harten Leben ohne festen Wohnort geschuldet, teils auch unter führenden Offizieren quasi üblich. Aber er hatte stets eine saubere Uniform an, blank-polierte Knöpfe und Stiefel, einen eleganten Säbel, und als Markenzeichen eine große Federboa am Hut. Schon in West Point hatte er deshalb unter Kadetten den Beinamen "Beauty" (Schönling) bekommen. Zur Begrüßung salutierte er nicht zu Vorgesetzten, sondern nahm den Hut ab und verbeugte sich. Viele Vorgesetzte belächelten ihn deshalb, ließen ihn aber gewähren, weil er auf der anderen Seite militärisch so erfolgreich war.

 

"JEB" Stuart als junger Mann / MajGen "JEB" Stuart um 1863

Der Gettysburg-Feldzug war für Stuart kein Ruhmesblatt. Nach seiner entscheidenden Aufklärungsarbeit bei Chancellorsville konnte er die große Kavallerieschlacht von Brandy Station nur knapp zu einem Unentschieden bringen. Historiker nehmen an, dass hierdurch sein Stolz angekratzt war. Deshalb erlaubte ihm Lee auf dem Weg nach Norden, zur Aufklärungsarbeit erneut die Unions-Armee zu umrunden.

Dann jedoch geschah, womit Stuart und Lee nicht rechneten: die Unionsarmee bewegte sich viel schneller nach Norden als erwartet, und schob sich zwischen Lee's Armee und Stuart's Kavallerie. Stuart verlor für mehrere wichtige Tage den Kontakt zu Lee, und Lee hatte in dieser Zeit keine verlässlichen Informationen über Position und Stärke des Gegners. So stolperten die Konföderierten eher zufällig in ein Gefecht bei Gettysburg, das sich zu der legendären großen Schlacht entwickeln sollte. Als Stuart am Ende des zweiten Tages von Gettysburg endlich zurückkehrte, hielt ihm Lee eine Standpauke, beließ ihn aber im Kommando.

 

Erneut in seiner persönlichen Ehre geknickt, gönnte sich Stuart selbst und seinen Reiter von nun an keine Pause mehr. Der relativ unbeschadete Rückzug von Lee's geschlagener Armee nach Virginia wäre ohne Stuart's hervorragender Deckungsarbeit nicht möglich gewesen. Auch im darauffolgenden Winter war es immer Stuart, der Lee rechtzeitig warnte, wenn die Unions-Armee sich anschickte, einen Schritt gegen sie zu  unternehmen.

Aber die Unions-Kavallerie hatte dazugelernt. Spätestens seit Brandy Station und Gettysburg waren ihnen die Südstaatenreiter nicht mehr so deutlich überlegen. Dazu kam, dass es aus dem Norden einen schier unerschöpflichen Vorrat an Futter, Sätteln, Zaumzeug, Hufschmieden und frischen Pferden gab. Der Süden hatte zunehmend Probleme, seine Kavallerie im Sattel zu halten.

Ein letztes Mal konnte Stuart rund um die Schlacht in der Wilderness beweisen, was seine Kavallerie drauf hatte. Er erkannte die Bewegungen der Unionsarmee, ahnte dass sie sich auf zwei getrennten Wegen südwärts bewegen würde, und lenkte dazu noch die Unions-Kavallerie erfolgreich ab.

 

Dann wurde Sheridan gegen ihn von der Leine gelassen. Sheridan ritt zügig auf Richmond zu, überfiel das konföderierte Versorgungslager Beaver Dam Station, und erreichte dadurch, dass Stuart ihm folgte. Bei der verlassenen Landkneipe "Yellow Tavern" unweit der konföderierten Hauptstadt kam es dann am 11. Mai 1864 zum Gefecht. Stuart trieb seine Reiter persönlich zum Gegenangriff an, und als fliehende Unions-Kavalleristen an ihm vorbeiströmten, drehte sich einer von ihnen um und schoss Stuart aus kurzer Entfernung in den Unterleib.

Nachträgliche künstlerische Darstellung von JEB Stuart in der Schlacht von Yellow Tavern, VA

Stuart wurde sofort nach Richmond gebracht, verblutete aber innerlich und starb am nächsten Tag, dem 12. Mai 1864, kurz bevor seine Frau Flora zu ihm gelangen konnte. Seinen Säbel und seine Sporen vermachte er seinem Sohn. Seine letzten Worte waren:

Ich vertraue vollkommen darauf, Gottes Wille wird geschehen.

Die Nachricht von Stuart's Tod erreichte General Lee noch am selben Tag, keine 100 Kilometer weiter nördlich, als er mit seinen Unterführern in einer Lagebesprechung war. Er laß die Meldung, teilte den Offizieren den Verlust von Stuart in sachlichem Ton mit, stockte dann, nahm seinen Hut ab, blickte zu Boden, und sagte:

Er hat mir niemals auch nur eine einzige fehlerhafte Information geliefert.

 

JEB Stuart wurde im prominenten Hollywood-Friedhof von Richmond beigesetzt. Neben Lee und Jackson gehört er zweifellos zu den bemerkenswertesten Bürgerkriegsgenerälen überhaupt.

 

Grab von "JEB" Stuart und seiner Frau in Richmond, bis heute mit konföderierten Symbolen geschmückt / Reiterstatue von "JEB" Stuart auf der Monument Avenue, Richmond, VA, errichtet 1907

 

Wie bei allen Beiträgen zu diesem Feldzug auch hier eine Übersichtskarte. Sie zeigt die schnelle Bewegung der beiden Kavallerie-Verbände vom Kampfplatz bei Spotsylvania bis vor die Tore von Richmond, wo das Gefecht von Yellow Tavern stattfand.

Lee's Kavallerie (rot) kehrte daraufhin zur Armee zurück. Grant's Kavallerie (blau) ritt zunächst weiter nach Süden, um bei Malvern Hill im Basislager von Gen Butler's James-Armee Vorräte aufzunehmen.