05.-07.05.1864 - Die Wilderness

 

Nach Monaten des kalten und relativ ereignislosen Winters begann LtGen Ulysses S. Grant, Oberbefehlshaber der Union, seinen großen Plan zur siegreichen Beendigung des Krieges umzusetzen. Hier betrachten wir die erste große Aktion daraus, die sich in Nord-Virginia abspielte.

 

LtGen Ulysses S. Grant, US-Oberkommandierender, im Felde bei der Army of the Potomac in Virginia

Grant selbst hielt sich bekanntlich bei der Potomac-Armee auf, deren Aufgabe die Vernichtung von General Robert E. Lee's konföderierter Nord-Virginia-Armee war. Beide genannten Armeen lagen den ganzen Winter über in Nord-Virginia, nur getrennt durch den Fluss Rapidan und südlich davon der "Wilderness". Dies war ein Landstrich, der schon vor Jahrzehnten gründlich abgerodet worden war. Der Boden war nicht gut genug für Landwirtschaft, also überließ man die Gegend sich selbst. Nun war dort dichtes, nahezu undurchdringliches Buschwerk hochgewachsen. Nur wenige Straßen führten in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung hindurch.

Im westlichen Teil der Wilderness war vor gerade mal einem Jahr die Potomac-Armee unter MajGen Joseph Hooker in der Schlacht von Chancellorsville geschlagen worden. Nach dem legendären Flankenangriff von LtGen Thomas Jackson musste Hooker die zahlenmäßig weitaus überlegene Potomac-Armee wieder über den Rapidan nach Norden zurückführen. Grant war angetreten, um solche Rückschritte nicht mehr zuzulassen, bis Lee endgültig geschlagen war.

 

Grant betrachtete die Karte und überlegte, wie er Lee zur ersten Schlacht stellen konnte. Lee's Armee war ja nicht sehr weit weg von ihm, aber dazwischen lag der Fluss und eben die Wilderness. Lee's Winterlager konnte er nicht einfach angreifen, weil es wie üblich gut gesichert war. Grant wusste aber, dass Lee wachsam war. Wenn er nun in Richtung auf Richmond marschierte, also von seinem Punkt auch nach Südosten, musste Lee sein Lager verlassen, ihm folgen und versuchen, ihn aufzuhalten. Und genau das wollte Grant erreichen.

Grant's größtes Problem war die Wilderness. Die wenigen nutzbaren Furten in den Flüssen ließen ihm keinen anderen Weg, er musste mitten durch das Dickicht. Aber er wollte unbedingt vermeiden, darin kämpfen zu müssen. Seine riesige Armee war mit ihren Kanonen und der Kavallerie viel besser für offenes Gelände geeignet. Deshalb versuchte er, die Wilderness so schnell und so heimlich wie möglich zu durchqueren. Er schickte die Wagenzüge auf einem weiten Umweg nördlich des Rapidan-Flusses voraus, und die jetzt aus vier Corps bestehende Armee auf zwei parallelen, südwärts verlaufenden Straßen hinein.

General Robert E. Lee, CSA, Army of Northern Virginia

General Robert E. Lee erfuhr von diesen Bewegungen. Seine rastlose Kavallerie unter MajGen J.E.B. Stuart versorgte ihn ständig mit wertvollen Informationen über den Gegner. Lee erkannte, das Grant beabsichtigte, ihn südlich der Wilderness zum Kampf zu zwingen. Aber Lee hatte noch ein bedeutendes Problem: von seinen drei Corps war eines (das unter LtGen James Longstreet) nach der Herbst-Aktion in Tennessee noch immer nicht zurückgekehrt. Es hatte den Winter in Südwest-Virginia verbracht. Natürlich hatte Longstreet den Befehl, schnellstens zur restlichen Armee aufzuschließen, aber es lagen noch mehrere Tage Marsch vor ihnen.

Lee konnte nicht riskieren, auf Longstreet zu warten. Dann wäre Grant vermutlich durchgezogen und auf dem ungestörten Weg nach Richmond. Auch konnte Lee nicht um die Wilderness herum marschieren - wie von Grant erhofft - und die Potomac-Armee südlich davon stellen, weil er ohne Longstreet's Corps zahlenmäßig noch deutlicher unterlegener gewesen wäre wie mit ihm. Also tat Lee, was er am besten konnte: er überraschte den Gegner mit einem Schachzug, den dieser nicht für möglich gehalten hatte. Denn während sich Grant's Männer mühsam durch die Wilderness bahnten, war diese große Armee aufgeteilt in zwei getrennte lange Reihen. Lee rechnete sich die besten Chancen aus, wenn er mit jedem seiner verbliebenen Corps mitten im Dickicht je eine Spitze dieser Reihen angriff. Die Kräfteverhältnisse wären halbwegs vergleichbar, und die US-Armee konnte von hinten keinen Nachschub heranbringen, weil ein Kampf im vorderen Teil der Reihen die engen Wege verstopfen würde.

Lee wusste aber auch, dass dieser Kampf sehr schwer werden würde. Durch das Dickicht waren meist nur wenige Meter zu sehen, der Einsatz von schweren Kanonen war undenkbar, Reiter konnten sich fast nicht vorwärts bewegen, und eine Orientierung war fast unmöglich, vor allem wenn bei einem Kampf alles voller Pulverdampf war.

Trotzdem wagte er es. Die Corps von LtGen Richard Ewell und LtGen Ambrose P. Hill griffen - für die Union völlig überraschend - das an vorderer Stelle marschierende II. Corps von MajGen Winfield S. Hancock und das V. Corps von MajGen Governeur K. Warren an. Beide US-Corps wurden an jenem Tag weit zurückgedrängt. Die anderen Unions-Corps dahinter konnten garnicht eingreifen. Und die Unions-Kavallerie befand sich auf einem vergeblichen Ablenkungsmanöver. Wäre es am Abend nicht dunkel geworden, dann wäre diese Schlacht schon am ersten Tag entschieden gewesen.

 

Ohne zu sehr auf Details eingehen zu wollen: die Überlebenden sagten später ziemlich übereinstimmend, dass keine Schlacht so grausam war wie jene in der Wilderness. Man konnte nichts erkennen, man sah andere Menschen erst wenn sie direkt vor einem auftauchten, und wenn dies dann ein Gegner war, konnte es ganz schnell zu spät sein. Einheiten wurden durch das Dickicht gejagt und zerstreut, man verlor den Kommandeur aus den Augen, man riss sich die Kleidung an dornigen Sträuchern kaputt, und noch vieles mehr.

Bildnis vom Kampf im Dickicht, idealisierte Darstellung

Als die Nacht kam, kauerten sich die Soldaten beider Seiten auf die Erde wo sie sich befanden und suchten Rast. Aber an Schlaf war für viele nicht zu denken. Überall knackte und raschelte es, niemand konnte sicher sein, dass nicht im nächsten Moment ein Feind über sie stolperte. Und dann brach an einigen Stellen noch Buschfeuer aus, entzündet vom vielen Mündungsfeuer der Gewehre. Verwundete Soldaten, die sich nicht mehr retten konnten, verbrannten vor den Augen ihrer Kameraden.

Kohleskizze von der Bergung von Verwundeten vor den Buschfeuern. Vielen Männern konnte aber nicht mehr geholfen werden.

Am Tag darauf setzte die Union zum Gegenangriff an. Die konföderierte Armee war vom Vortag aber so geschwächt, dass sie dem Druck nicht standhalten konnte. Lee fürchtete, an dieser Stelle den Kampf zu verlieren. Da erschien Longstreet's Corps, trat sofort in den Kampf ein, und drängte die Unionseinheiten zurück. Am Ende dieses aufreibenden Tages hatte keine Seite nennenswertes Gelände gewonnen, aber wiederum viele Männer verloren. Auch Lee's wichtigster Unterführer, Corps-Kommandeur James Longstreet, war von einer Kugel schwer am Hals verwundet worden. Er musste nach Richmond gebracht werden und konnte erst im kommenden Winter wieder seinen Posten einnehmen.

 

Am dritten Tag, dem 7. Mai, gab es nur mehr kleine Kämpfe. Keine Seite hatte die Kraft und den Mut, nochmals einen solch verlustreichen Kampf zu beginnen. Am Ende des Tages befahl Grant, die Armee abmarschieren zu lassen - aber nicht wie seine Vorgänger zurück nach Norden, sondern nach Süden, also weiter in die Richtung, die er geplant hatte. Er wollte möglichst rasch die Anhöhen vor der nächsten Siedlung namens Spotsylvania Court House besetzen und Lee aus dieser guten Position heraus zum Kampf zwingen. Als die Soldaten merkten, dass sie sich nicht wie sonst zurückzogen sondern nach Süden marschierten, schöpften sie neuen Mut. Denn sie erkannten, dass sich ihre Armee unter dem neuen Kommandeur nicht geschlagen geben würde.

Doch nun zeigte sich wieder einmal die besondere Fähigkeit von Lee, den Gegner einzuschätzen. Während kleine Teile seiner Armee noch mit der Union in der Wilderness scharmützelten, hatte er Longstreet's Corps, jetzt unter MajGen Richard Anderson, vorausgeschickt, einen guten Lagerplatz südlich der Wilderness zu suchen. Und Anderson wählte eben jenen Hügel, den Grant angepeilt hatte. Als Grant ankam, war Anderson schon da. Ja, das klingt wie die Geschichte von Hase und Igel. Und es sollte nicht das letzte Mal sein.

Was daraufhin folgte, wird heute - aufgrund des Stellungswechsels - als separate Schlacht von Spotsylvania Court House bezeichnet, auch wenn sie keine 10 Kilometer vom vorigen Schauplatz entfernt war. Ich werde gesondert darüber berichten, weil dieses Ereignis auch ein paar Besonderheiten hat.

 

Hier noch ein paar Zahlen zur Verdeutlichung. Die Union hatte 101.000 Mann, von denen aber aufgrund der engen Straßen im Dickicht nicht alle im Kampf eingesetzt werden konnten. Sie verloren in jenen drei Tagen fast 18.000 Mann. Die Konföderation hatte nach Longstreet's Ankunft 61.000 Mann und musste 11.000 Opfer beklagen. Dies war die erste schwere und verlustreiche Schlacht seit Gettysburg vor 10 Monaten. Auf beiden Seiten war der Aufschrei über die hohen Verluste groß, aber es sollten in dichter Folge noch viele weitere solche Ereignisse folgen. Denn um den "alten grauen Fuchs" Robert E. Lee zu schlagen, musste es Grant gelingen, ihn zu überraschen und schneller zu sein. Und das sollte nicht einfach werden.

 

Ganz wie bei Hase und Igel.

 

Die soeben beschriebene Schlacht in der Wilderness war der Auftakt von Grant's langsamer Annäher­ung auf Richmond. Füe ein besseres Bild habe ich Kartenskizzen aus dem Wikipedia-Artikel zum Überland-Feldzug verwendet und alle Teile außer dem jeweils relevanten Abschnitt ausgeblendet. Im Laufe der nun folgenden Artikelserie wird die Fortsetzung der "Hase-und-Igel"-Bewegung zwischen Lee und Grant immer deutlicher.

Hier die Karte aus der Schlacht in der Wilderness, 5.-7. Mai 1864, ganz zu Beginn des Feldzuges: