Frühling in Virginia von 1863

 

Vor 150 Jahren war Ende März in Virginia die Winterstarre langsam gewichen. Schneefälle wandelten sich zu Regen und Tauwetter, alle Straßen und Wege wurden zu Schlammlöchern, und die Flüsse schwollen gewaltig an. Erst nach Mitte April war die Landschaft soweit getrocknet, dass man sich wieder ordentlich fortbewegen konnte. Was nun folgte, wird bis heute als General Robert E. Lee's größte Glanzleistung bezeichnet: Die Schlacht von Chancellorsville. Ich möchte ein wenig erzählen, wie es dazu kam und durch welche ungewöhnlichen und gewagten Maßnahmen sich Lee diese Hochachtung verdient hat.

 

Nach der fürchterlichen Schlacht von Fredericksburg im Dezember, die Lee dank der richtigen Einschätzung seines überheblichen Gegners klar gewonnen hatte, hatten sich die beiden großen Armeen kaum von der Stelle bewegt. Die Potomac-Armee lag nördlich des Rappahannock-Flusses gegenüber von Fredericksburg. Die Nord-Virginia-Armee hatte sich für ihr Winterlager ein paar Meilen flussaufwärts und damit westlich von Fredericksburg verzogen. Dort war das Gelände für ein Winterlager besser geeignet und eine unzerstörte Eisenbahn aus Richtung Tennessee war für die Truppenversorgung in Reichweite.

Präsident Lincoln hatte bekanntlich im Januar den unflexiblen General Burnside abgelöst und das Kommando der Potomac-Armee an den als kämpferisch bekannten General Joseph Hooker über­geben. Nach Neuzugängen über den Winter hatt er etwa 130.000 Mann. Das war die zweitgrößte Armee-Stärke des ganzen Krieges.

 

Major General Joseph Hooker, USA / General Robert E. Lee, CSA

General Lee dagegen musste zusehen, wie sich seine Armee verkleinerte. Im Februar nutzte Corps-Kommandeur James Longstreet seine politischen Kontakte in Richmond, um ein eigenes Kommando zu bekommen. Präsident Davis glaubte, dass die Unions-Armee noch einige Zeit ruhig bleiben würde, und entsandte Longstreet mit fast dessen gesamten Corps auf eine Mission an die Ostküste von Virginia und North Carolina, um die Stadt Suffolk gegen Unions-Angriffe vom Meer zu schützen. General Lee's Armee schrumpfte daraufhin auf nur wenig mehr als 60.000 Mann. Die Sache bei Suffolk zog sich aber in die Länge, und als man bemerkte, dass sich die Nord-Armee Ende April doch plötzlich schon bewegte, war Longstreet zu weit weg um Lee helfen zu können.

Das Kräfteverhältnis war jetzt so ungleich wie nie zuvor. Der Norden hatte mehr als doppelt so viele Soldaten gegen den Süden aufgestellt. Hooker muss das gewusst - oder zumindest geahnt - haben. Er entwickelte einen klugen Plan, der höchste Aussichten versprach, Lee's Armee von zwei Seiten anzugreifen und entweder in die Flucht zu schlagen oder zu vernichten.

 

Zunächst schickte Hooker seine Kavallerie aus. Sie sollte in einem großen Bogen westwärts Lee's Armee gegen den Uhrzeigersinn umrunden, sich nach einem Dreiviertel-Kreis südlich zeigen und dann immer weiter südöstlich auf Richmond zu reiten. Die Nord-Virginia-Armee sollte so gezwungen werden, einen Teil ihrer Kräfte zur Verfolgung der Unions-Kavallerie auszuschicken. Weil Infanterie hierfür viel zu langsam ist, hoffte Hooker, dass Lee seine hervorragende Kavallerie unter J.E.B. Stuart dafür einsetzte und sie Hooker's eigentlichem Angriff damit aus dem Weg schaffte.

Dann ließ Hooker sein VI. Corps (25.000 Mann unter General Sedgwick) bei Fredericksburg über den Fluss gehen und auf der Ebene hinter der Stadt "demonstrieren". So nennt man es, wenn die Soldaten gut sichbar marschieren und sich scheinbar auf ein großes Gefecht vorbereiteten, ohne dies wirklich im Sinn zu haben. Dieses "Demonstrieren" sollte den Gegner ablenken, seine Aufmerksamkeit binden, und die Möglichkeit für ein ganz anderes, unbemerktes Manöver schaffen. Lee sollte glauben, dass der Angriff von dort aus erfolgen wird.

Seine Hauptstreitmacht von rund 100.000 Mann ließ Hooker aber heimlich, still und leise mit etwas Abstand vom Rappahannock flussaufwärts marschieren. Der Fluss und Hooker's Umsicht halfen ihm, dass Lee davon nichts merkte. Viel weiter oben, wo der Rappahannoch noch aus zwei kleineren Flüssen bestand, überquerte Hooker die Wasserläufe und postierte seine gewalte Streitmacht dort. Die Nord-Virginia-Armee befand sich damit zwischen Hooker's Haupt-Truppe im Westen und Sedgwick's VI. Corps im Osten. Während Sedgwick offen "demonstrierte" und die Aufmerksamkeit von Lee auf sich zog, war Hooker mit seiner Übermacht bereit, den Konföderierten überraschend in den Rücken zu fallen.

Bewegungen der US-Armee, um Lee's konföderierte Armee abzulenken und einzukesseln

Dieser Plan war wohl die beste Strategie, die der Norden bislang ersonnen hatte. Und bis zu diesem Zeitpunkt, dem 28. April, funktionierte auch alles nach ihren Wünschen. Hooker war zuversichtlich, Lee in wenigen Tagen vernichtend geschlagen zu haben. Es ist sein Ausspruch überliefert:

Mein Plan ist perfekt. Möge Gott Erbarmen mit General Lee haben, denn ich habe keines.

 

Nun, wir wissen, dass es anders kam. Und das ist einerseits den Fehlern zuzuschreiben, die die US-Generäle von nun an begingen, aber wesentlich mehr noch der genialen Strategie von General Lee und seinem verbliebenen Corps-Kommandeur Thomas Jackson. Mehr dazu folgt.